Beinbeuger – Was macht der eigentlich?
Der Beinbeuger - ein oft falsch verstandener Muskel.
Um ein Individuum – ganz egal, ob es sich um einen Leistungssportler, Breitensportler oder Normalverbraucher handelt – optimal zu trainieren, ist ein grundlegendes, funktionelles Verständnis des lebenden Menschen unabdingbar.Die Grundfunktion: Aufrecht auf beiden Beinen fortbewegen
Nur wer versteht, wie sich ein Mensch in einer Situation bewegen sollte und wie er sich tatsächlich bewegt, kann daraus funktionelle Strategien entwickeln. Ein Blick in Anatomiebücher zeigt, dass sich der Mensch scheinbar nur in einer sagittalen Achse bewegt. Frontal und transversal beschreiben sie Muskeln – wenn überhaupt – nur sehr statisch.
Die wichtigste Funktion des Menschen ist es nicht, auf dem Bauch, Rücken oder Po zu liegen oder zu sitzen, sondern sich fortzubewegen. Und zwar in effektivster Weise: aufrecht auf beiden Beinen. In dieser funktionalen Bewegung ist es sinnvoll, sich die Aufgabe der Muskeln vor Augen zu führen. Denn hieraus ist eine spezifische und sportartabhängige Betrachtung möglich.
Das Beispiel Beinbeuger
Schon die Namensgebung zeigt, wie isoliert dieser Muskel bislang betrachtet wurde. Sicher, er beugt das Bein im Stand oder auch im Liegen. Aber wer ist schon einmal eine Straße entlanggeschlendert und hat willentlich den Beinbeuger gebeugt?
Besucher von Fitnessstudios liegen in Bauchlage auf einem mehrere Tausend Euro teuren „Beinbeuger-Gerät“. So ein Gerät ist äußerst effektiv für den Muskelaufbau, aber nicht funktionell. Es fehlen zwei Dinge: die frontale und die transversale Achse. Es müsste so gesehen also drei verschiedene Beinbeuger Geräte geben, um die Bewegung zu vervollständigen. Denn ausnahmslos jedes Gelenk des menschlichen Körpers funktioniert in drei Achsen und sollte aus funktioneller Sicht auch in all diesen bewegt und trainiert werden.
Etwas genauer: Der Beinbeuger oder besser Hamstring arbeitet – wie übrigens alle anderen Muskeln auch – nicht isoliert, sondern ist Teil einer ganzen Muskelgruppe. Die Gruppe besteht aus Semimenbranosus und Semitendinosus (die beiden inneren/medialen Köpfe), sowie Biceps femoris mit dem langen und dem kurzen Kopf als den beiden äußeren/lateralen Köpfen. Die ersten drei setzen am Becken am Tuber ischiadicum an. Der Biceps femoris mit dem kürzeren Köpfchen hat seinen Ursprung am hinteren Teil des Oberschenkelknochens. Der Semimenbranosus läuft zum mittleren Teil des Schienbeins (Tibia) und den Soft Tissues (weiches Gewebe) des hinteren mittleren Knieanteils. Der Semitendinosus läuft eher zum vorderen mittleren Bereich der Tibia, der Biceps femoris aber zu den äußeren Anteilen des Fibulaköpfchens (Wadenbein).
Der Beinbeuger längt
Am Unterschenkel scheint es so zu sein, als ob der Hamstring den Unterschenkel geradezu von hinten transversal umarmen möchte. Ist er damit jetzt auch der Kniedreher? Wenn wir im Begriff sind, den linken Fuß vor den rechten zu setzen, kippt das Becken nach vorne. Dies bedeutet eine Längung des Hamstrings am Hüftgelenk, also jener drei Köpfe, die am Becken ansetzen.
Längung ist der „Load“, das exzentrische Dehnen von Muskulatur als Vorbereitung für die konzentrische Phase („Explode“). Trifft unsere linke Ferse auf den Boden, beugt sich aufgrund der wirkenden Schwerkraft des Eigengewichts und der eigenen Beschleunigung das Knie.
Der Beinbeuger arbeitet exkonzentrisch
Anatomiebücher kennen zu Arbeitsweisen der Muskulatur genau drei Möglichkeiten:
- konzentrisch
- exzentrisch
- isometrisch
Wie aber arbeitet der Hamstring nach der obigen Beschreibung tatsächlich?
In der sagittalen Ebene bei einer Bewegung nach vorne: EXKONZENTRISCH!
In der frontalen Ebene geschieht Folgendes:
In der dritten, der transversalen Ebene spielt sich Folgendes ab:
Die Quintessenz daraus?
Es gibt kein Gerät und wird auch niemals ein Gerät geben, das der unglaublichen Funktion dieses Muskels voll und ganz Rechnung tragen wird! Train smart, Train functional mit PAT!
Dein Patrick
Artikel wurde ursprünglich am 07.05.2014 im Functional Training Magazin veröffentlicht.