Hüftbeuger – Beugt er deine Hüfte wirklich?

Hüftbeuger - Beugt er deine Hüfte wirklich?

Muskeln nach ihrer Funktion zu benennen ist kritisch zu betrachten. Dem Hüftbeuger zu unterstellen, dass er die Hüfte beugt, ist zwar richtig, spiegelt allerdings nur sehr oberflächlich seine Rolle wider. Diese Unterstellung ist zudem nur eindimensional. Und wie wir wissen funktionieren alle unsere Muskeln in allen drei Bewegungsachsen. Im Kindes- und Jugendalter verfügt der Iliopsoas über eine beträchtliche Länge oder auch Dehnfähigkeit. Diese Eigenschaft fällt mit den Jahren, exzessiver sitzender Tätigkeit und einem Mangel an Bewegung zum Opfer. Im Leistungssport führt das oft zu einer einseitigen Überlastung. Diese Muskelgruppe verliert unter diesen Umständen ihre Beweglichkeit und Funktionalität in allen drei Bewegungsachsen. 

Die Basics

Im funktionellen Alltag, das heißt in stehender oder gehender Position, wird die Beugung des Hüftgelenks geschenkt. Der Hüftbeuger erzeugt die Beugung nicht durch eine konzentrische Kontraktion. Es ist die Schwerkraft, die den Oberkörper zwingt, sich nach vorn zu neigen. In der Bewegung haben zusätzlich die Eigenmasse und deren Beschleunigung erheblichen Einfluss. Bei vielen sportlichen Aktivitäten hat der Iliopsoas selbst bei gebeugter Hüfte einen großen Einfluss auf Bewegungen in frontaler und transversaler Richtung.
Hüftbeuger PATband
Hüftbeugung mit Schwerkraft und PATband

Der Hüftbeuger kontrolliert Extension, Innenrotation und Ad- & Abduktion

Der Iliopsoas ist auch deshalb so interessant, weil er kein oberflächig verlaufender Muskel ist. Er liegt im tiefen vorderen Rumpf und der Lendenwirbelgegend. Als wichtige Nachbarn seinerseits sind vor allem die Bauchmuskeln, der Rectus Femoris und Adduktoren zu nennen. 

Der Iliopsoas besteht aus dem Psoas Major und dem Iliacus. Ersterer entspringt vom zwölften Brustwirbelkörper bis zum vierten Lendenwirbelkörper, den Querfortsätzen des ersten bis fünften Lendenwirbels. Der Iliacus beginnt an der inneren Oberfläche des Iliums. Beide Muskeln vereinigen sich und verdrehen sich medial, um am kleinen Rollhügel (Trochanter Minor) des Oberschenkelknochens anzusetzen.

Glaubt man den Anatomiebüchern, so bewirkt der Hüftbeuger die Flexion und Außenrotation im Hüftgelenk. Der Psoas adduziert und Iliacus abduziert im Hüftgelenk. Ohne eine genauere Betrachtung ist die Muskelfunktion sehr unzureichend beschrieben. Aus dieser konzentrischen Sichtweise findet die Muskelarbeit in einer anderen Umwelt statt. Nämlich in Rückenlage. Meiner Beobachtung nach ist diese unzureichende anatomische Grundlage in vielen Ausbildungsinstituten immer noch Fundament auch für den Bereich Functional Training.

Hüftbeuger Hüftladung
Funktionelles Laden der rechten Hüftseite

Interessant aus funktioneller Sicht:

Der Iliopsoas ist in der Lage exzentrisch die Extension zu kontrollieren, sowie die Innenrotation und beide Bewegungen (Ad- und Abduktion) in der Frontalebene. Alle diese Bewegungen aktivieren und längen diesen Muskel. In funktioneller Betrachtung, das heißt am lebenden Objekt, nicht in Rückenlage sondern aufrecht gehend ergibt sich für den Iliopsoas folgendes Bild:

Bei einem Schritt mit dem linken Fuß nach vorn genau in dem Moment des Auftreffens der linken Ferse auf den Boden, treten folgende Bewegungen im Hüftgelenk auf: Flexion (Sagittal), Adduktion (Frontal) und Innenrotation (Transversal). Halten wir uns nun die oben beschriebenen Funktionen vor Augen, so stellt man fest, dass der Hüftbeuger in der Frontal- und Transversalebene exzentrisch aber in der Sagittalebene konzentrisch arbeiten sollte. Dies ist nur ein weiteres Beispiel für die Terminologie der exkonzentrischen Muskelarbeit.
Hüftaktivierung Hüftbeuger

Dies bedeutet, ein Muskel arbeitet in verschiedenen Bewegungsachsen in unterschiedlicher Arbeitsweise (konzentrisch/exzentrisch/statisch) zur gleichen Zeit. Unklar ist hier allerdings noch, ob die Spannung verursacht durch Längung des Muskels in der Frontalebene eine Bewegung abbremst oder auf Grund des Ursprungs die Lendenwirbel in die gleiche Richtung dreht wie das Becken. In der Frontalebene kippt das Becken bei einem Schritt mit Rechts zur linken Seite. Der Iliopsoas der rechten Hüftseite wirkt einer linken Lateralflexion der Wirbelsäule durch Muskellängung (Spannung) entgegen. Schwingt der linke Fuß nach vorn, beginnt das Becken räumlich betrachtet nach rechts zu rotieren. Diese Rotation verursacht eine noch deutlichere Innenrotation des rechten Oberschenkels im Hüftgelenk. Diese Bewegung verursacht eine Extension und bringt den rechten Fuß quasi nach hinten, indem er von seinem linken Nachbarn überholt wird. Das Becken verlagert sich gleichzeitig von rechts nach links auf der Frontalebene. 

Genau diese drei Bewegungen dehnen den Iliopsoas in allen drei Bewegungsachsen. Durch diese dreidimensionale exzentrische Arbeit ist er ein so kraftvoller und wichtiger Muskel im Hüftgelenk. Die durch Längung gespeicherte Energie (Load) wird hauptsächlich in Hüftbeugung, dann Adduktion und Außenrotation umgesetzt (Explode). Durch die Beschleunigung der Vorwärtsbewegung des Oberschenkels ist das Abheben der Ferse vom Boden beim Gehen erst möglich. Im Umkehrschluss heißt dies aber: Eine eingeschränkte Dorsalflexion im Fußgelenk – womöglich durch einen zu steifen großen Fußzeh unterstützt – bremst einen Schritt nach vorne deutlich ab und hat daher negativen Einfluss auf die Schrittlänge und damit die Extension in Hüftgelenk.

Fazit

Aus dieser dreidimensionalen Betrachtungsweise ergeben sich hinsichtlich der Trainings- und Therapietechniken deutliche Unterschiede im Vergleich zur klassischen Herangehensweise. Der Fokus sollte nicht die Nutzung des Muskels ausschließlich in Beinhebeübungen sein, denn eine willentliche konzentrische Arbeitsweise dieses Muskels ist alles andere als funktionell. Ziel eines jeden funktionellen Trainings ist es, dem Körper möglichst authentische Reize zu setzen, welche vom Körper schnell verstanden, integriert und umgesetzt werden können.

Dein Patrick

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