Beinbeuger – was du wissen musst!
Die Grundfunktion: Aufrecht auf beiden Beinen fortbewegen
Bevor wir nun auf den Beinbeuger eingehen, möchte ich Folgendes vorausschicken:
Nur diejenigen, die verstehen, wie sich Menschen in verschiedenen Situationen bewegen sollten und wie sie sich tatsächlich bewegen, können daraus funktionale Strategien entwickeln. Ein Blick in Anatomielehrbücher zeigt, dass die Bewegungen des Menschen scheinbar hauptsächlich in einer sagittalen Achse erfolgen. Frontal und transversal beschreiben sie die Muskeln – wenn überhaupt – eher in statischer Weise.
Die vorrangige Aufgabe des menschlichen Körpers besteht jedoch nicht darin, auf dem Bauch, dem Rücken oder dem Gesäß zu verharren oder zu sitzen, sondern sich effizient zu bewegen. Und zwar aufrecht, auf beiden Beinen. In dieser funktionalen Bewegung ist es sinnvoll, sich die Rolle der Muskeln bewusst zu machen, da dies eine spezifische und sportartspezifische Betrachtung ermöglicht.
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Das Beispiel Beinbeuger
Schon allein die Bezeichnung des Beinbeuger Muskels verdeutlicht, wie isoliert er bisher betrachtet wurde. Gewiss, er ist dafür verantwortlich, das Bein im Stehen oder Liegen zu beugen. Doch wer ist jemals einfach die Straße entlanggegangen und hat bewusst den Beinbeuger gebeugt?
Diejenigen, die Fitnessstudios besuchen, liegen oft auf einem teuren “Beinbeuger-Gerät” in Bauchlage. Dieses Gerät ist äußerst effektiv für den Muskelaufbau, aber es fehlen zwei entscheidende Elemente: die frontale und die transversale Achse. Tatsächlich müssten also eigentlich drei verschiedene Beinbeuger-Geräte vorhanden sein, um die Bewegung vollständig abzudecken. Schließlich funktioniert jedes Gelenk des menschlichen Körpers ausnahmslos in drei Achsen und sollte aus funktionaler Sicht auch in allen diesen Achsen bewegt und trainiert werden.
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Genauer betrachtet, ist der Beinbeuger oder Hamstring, wie auch alle anderen Muskeln, nicht isoliert tätig, sondern Teil einer umfassenden Muskelgruppe. Diese Gruppe setzt sich aus dem Semimenbranosus und dem Semitendinosus (beide gehören zu den inneren/medialen Köpfen) sowie dem Biceps femoris mit seinem langen und kurzen Kopf (beide gehören zu den äußeren/lateralen Köpfen) zusammen.
Die ersten drei Muskeln haben ihren Ursprung am Becken, genauer gesagt am Tuber ischiadicum. Der Biceps femoris mit seinem kürzeren Kopf entspringt am hinteren Teil des Oberschenkelknochens. Der Semimenbranosus erstreckt sich bis zum mittleren Bereich des Schienbeins (Tibia) und den weichen Geweben des hinteren mittleren Kniebereichs, während der Semitendinosus eher zum vorderen mittleren Teil der Tibia zieht. Der Biceps femoris hingegen reicht zu den äußeren Bereichen des Fibulaköpfchens (Wadenbein).
Der Beinbeuger längt
Anhand der Ursprünge und Ansätze dieser Muskelgruppe wird deutlich, dass eine rein sagittal ausgerichtete Arbeitsweise überhaupt nicht das Ziel sein kann. Aufgrund der Verbindung zum Becken und einer relativen Bewegung des Beckens zur Oberschenkelbewegung in der frontalen Ebene ist der Hamstring an Adduktion und/oder Abduktion beteiligt. Kann man also sagen, dass er auch an Hüftpendelbewegungen beteiligt ist?
Am Unterschenkel scheint es, als ob der Hamstring den Unterschenkel förmlich von hinten in der transversalen Ebene umfasst. Kann man daher auch behaupten, dass er an Drehbewegungen im Knie beteiligt ist? Wenn wir beispielsweise dabei sind, den linken Fuß vor den rechten zu setzen, neigt sich das Becken nach vorne. Das führt zu einer Dehnung des Hamstrings an den Hüftgelenksansatzpunkten, also bei den drei Köpfen, die am Becken ansetzen.
Diese Dehnung kann als Vorbereitung für die konzentrische Phase (die “Explosionsphase”) angesehen werden. Wenn unsere linke Ferse den Boden berührt, beugt sich das Knie aufgrund der Wirkung der Schwerkraft und unserer eigenen Beschleunigung.
Richtig, die Kniebeugung erfolgt aufgrund der natürlichen physiologischen Gegebenheiten durch die Schwerkraft und nicht durch den Beinbeuger. Um es nochmals zu betonen: Der Hamstring dehnt sich tatsächlich am Hüftgelenk, was zu einer Verlängerung führt. Gleichzeitig erfolgt eine Beugung des Knies, was zu einer Verkürzung des Hamstrings am Kniegelenk führt.
Der Beinbeuger arbeitet exkonzentrisch
Tatsächlich beschreibt die traditionelle Anatomie die Arbeitsweisen der Muskulatur in den Kategorien konzentrisch, exzentrisch und isometrisch.
Basierend auf der oben beschriebenen Funktionalität des Hamstrings bei einer Vorwärtsbewegung in der sagittalen Ebene könnte man sagen, dass der Hamstring in dieser Situation exzentrisch arbeitet. Dies bedeutet, dass der Muskel sich aktiv verlängert, während er gegen die Schwerkraft oder eine äußere Kraft arbeitet, um die Bewegung zu kontrollieren oder zu verlangsamen.
In der frontalen Ebene geschieht Folgendes:
Beim Auftreffen der Ferse auf den Boden und einer darauf folgenden Pronation des Fußes entsteht eine Kettenreaktion, die dazu führt, dass das Knie nach innen fällt. Wenn man die Bewegung von vorne, also frontal betrachtet, sieht, erfährt das Knie eine Abduktion (Valgus). Die Muskeln und Bänder an der Innenseite des Knies arbeiten in diesem Moment, um diese Abduktion zu verlangsamen und die entstehende Adduktion zu fördern, was Teil des Prozesses von “Load to Explode” ist.
In der dritten, der transversalen Ebene spielt sich Folgendes ab:
Die Quintessenz daraus?
Das ist eine wichtige Erinnerung daran, dass die erstaunlichen Funktionen eines Muskels wie des Hamstrings nicht immer durch Maschinen oder Geräte vollständig nachgeahmt werden können. Das Training sollte klug und funktional gestaltet sein, um die natürliche Vielfalt der Bewegungen und Funktionen des Körpers bestmöglich zu berücksichtigen.
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Mit gesunden Beinbeuger-Grüßen
Dein Patrick
Artikel wurde ursprünglich am 07.05.2014 im Functional Training Magazin veröffentlicht.
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